Frankreich: Lehren für die Kirche aus der Corona-Zeit

17.07.2020 - 14:22:00

Chance, vertraute Nische zu verlassen

Im Magazin „Le Nouveau Messager“ der Union Protestantischer Kirchen von Elsass und Lothringen (Union des Eglises Protestantes d’Alsace et de Lorraine – UEPAL) ist in der Ausgabe Juli/August 2020 ein Interview mit dem Präsidenten der UEPAL Christian Albecker und mit Pfarrerin Elisabeth Parmentier, Professorin für Praktische Theologie an der Protestantisch-Theologischen Fakultät der Universität Genf, über die Erfahrungen der Kirche mit der Coronapandemie erschienen.

Die Pandemie hat die Kirche in Elsass und Lothringen ganz direkt und unmittelbar betroffen: Christian Albecker, der als Laienpräsident der Kirche vorsteht, war selbst an Corona erkrankt und trug zugleich die Verantwortung für einige Pastoren, die ebenfalls erkrankt waren. Er hat sich in dieser Zeit über die große Anteilnahme in Gebet und in E-Mails gefreut.

Die Krise habe in der Gesellschaft die Urangst vor Krankheit und Tod hervorgebracht und die Angst, das eigene Leben nicht im Griff zu haben, so Parmentier. Zugleich wurde die Gesundheit als höchstes Gut geradezu sakralisiert. „Die Verwundbarkeit des Menschen passt heutigen Mitmenschen nicht mehr ins Lebenskonzept“, meint Christian Albecker. Die Erklärung der Gesundheit zum höchsten Gut habe in der Politik auch zu Entscheidungen geführt, die heute und aus kirchlicher Sicht zu hinterfragen seien, z.B. das Verbot für Familien, Seniorenheime zu betreten oder das Verbot, sich zum Gottesdienst zu versammeln. Elisabeth Parmentier führt aus, dass für ältere Leute nicht in erster Linie das Überleben, sondern vor allem Beziehungen wichtig seien. „Aus meiner Sicht wäre es besser, wenn die Familien ihre Angehörigen in solchen Zeiten zu sich nehmen könnten, auch wenn ein Risiko besteht. Besser, als sie allein zu lassen und nicht einmal in den letzten Stunden bei ihnen sein zu können.“

Während sich die Kirche langsam aus der Quarantäne verabschieden und ihre Türen wieder öffnen, gilt es zu überlegen, welche Erfahrungen sie aus der Zeit der akuten Krise mitnehmen. Für die UEPAL war es schön zu sehen, wie viele Menschen sich an Online-Formaten beteiligt haben. Viele von ihnen würden an anderen Formen von Gottesdiensten wohl gar nicht teilnehmen, so Parmentier. Für Albecker war ein Internet-Gottesdienst sehr einprägsam, der von Gemeinden im Elsass und im Senegal gemeinsam gefeiert wurde, mit dem Kirchenpräsidenten der lutherischen Kirche im Senegal: „Das war eine Erfahrung der Universalkirche, die wir vermutlich nicht gemacht hätten, wenn es diesen spezifischen Kontext nicht gegeben hätte“. Deshalb habe die Kirche nicht nur den Auftrag, nach der Corona-Krise die Türen wieder aufzusperren, betont Albecker, sondern auch ihre vertraute Nische und die Grenzen der Gewohnheit hinter sich zu lassen.

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